
Die tägliche Berichterstattung zur Corona-Krise stimmt alle nachdenklich. Als Expat in einem fremden Land wird dieses Gefühl der Verunsicherung verstärkt durch zwei Gründe: Erstens: Wir befinden uns nicht in der gewohnten Umgebung. Zweitens: Wir sind weit weg von Eltern und Freunden.
Bereits Ende letzter Woche (Anfang März 2020) zeichnete sich ab: Viele Länder Europas werden in absehbarer Zeit ihre Grenzen schließen müssen und Airlines aufgrund leerer Flieger ihren Betrieb einstellen.
Wir waren besorgt. Die Fragen, die uns umtrieben:
Sollten wir nach Hause zurückkehren?
- Was, wenn unsere Eltern ernsthaft erkranken würden?
- Wie würden unsere Kinder reagieren?
- Wie vernünftig wäre es, jetzt in ein Flugzeug einzusteigen?
- Wie sollten unsere Kinder in der Schweiz dem Unterricht in Schweden folgen?
- Wie sollte mein Mann von der Schweiz aus arbeiten?
- Wie schnell würden wir wieder nach Schweden zurückkehren können?
- Wie wird das schwedische Gesundheitssystem diese Krise bewältigen?
Uns war klar: Zu Hause in der Schweiz würden unsere Kinder unsere Eltern auch nicht besuchen dürfen. Aber immerhin könnten unsere Kinder zu Hause allenfalls den einen oder anderen Freund aus der unmittelbaren Nachbarschaft treffen. Schliesslich war das Spiel zu fünft erlaubt.
In unserer schwedischen Nachbarschaft hat es zwar ebenfalls viele Kinder. Doch sind diese insbesondere im Winter selten draussen anzutreffen. Entsprechend spielen unsere Kinder mit Klassenkameraden aus ihrer internationalen Schule.
Und diese Kinder sind seit Mitte März mit wenigen Ausnahmen grossmehrheitlich im Home-Schooling. Der Grund liegt auf der Hand: Viele Expat-Eltern orientierten sich an den Restriktionen in ihren Heimatländern. Entsprechend froh waren sie, als es seitens Schule hiess, man stelle auf Home-Schooling um.
Der Nachteil: Um Klassenkameraden zu treffen, hätten wir längere Autofahrten in Kauf nehmen müssen. Zudem gingen unsere Kinder ja nicht mehr zur Schule wegen der Schwierigkeit, im Schulzimmer Social Distancing umzusetzen.
Soziele Vereinsamung unserer Kinder?
Kurz: Die mögliche soziale Vereinsamung unserer Kinder in der Krise war und ist eine der Hauptgründe, weshalb wir uns nach wie vor fragen, ob wir nicht doch den Heimweg antreten sollten. Denn wer weiss schon, wie lange die Pandemie andauern wird. Und wann der Peak in Schweden und in der Schweiz erreicht sein wird.
Nicht wirklich zur Beruhigung beitragen können Meldungen zum schwedischen Gesundheitssystem.
Es wird wenig getestet
Da ist zum einen der Umstand, dass Schweden wenig testet. Tests unterzogen werden ausschliesslich Risiko-Patienten. Da ist zum anderen der Umstand, dass der Weg zum Arzt erschwert ist. Der Grund: Das Triagieren von Patienten wird stark forciert – im Alltag und jetzt in der Krise sowieso. So soll der Gesundheitssektor nicht über Mass finanziell strapaziert werden, derweil sich die Ärzte verstärkt auf ihre Kernaufgaben konzentrieren können. Das ist im Prinzip zu befürworten und vorbildlich. Und gleichwohl macht dieser Umstand vielen Expats hier in Stockholm zu schaffen. Auch, weil es anspruchsvoll ist, eine fremde Kultur zu verstehen.
Italiener fragt sich: Was, wenn ich ernsthaft erkrankt wäre?
Erst gestern war der Erfahrungsbericht eines Italieners in einem schwedischen Nachrichtenportal zu lesen. Der Expat war nach den Sportferien mit vermutetem Covid-19 von Nord-Italien nach Stockholm zurückgekehrt. Als er sich wegen akuten Beschwerden testen lassen wollte, wies ihn der Arzt ab und verwies ihn an eine Nurse. Sie beschied ihm, sich zu Hause auszukurieren und sich zu isolieren. Soweit so gut – hätte der Staat zum damaligen Zeitpunkt nicht verlauten lassen, man gehe allen Corona-Fällen aus Krisengebieten nach. So könne man den Verlauf analysieren.
Der Italiener ging irgendwann nach empfundener Genesung zurück zur Arbeit. Einen Tag später hatte er einen Rückfall. Diesmal mit dem Unterschied, dass er sich noch schlechter fühlte und inzwischen bereits viele seiner Arbeitskollegen angesteckt hatte.
Was ihn umtrieb, war die Frage: Bin ich an Covid-19 erkrankt? Oder handelt es sich um einen anderen Infekt? Hätte er Gewissheit gehabt, hätte er umsichtiger gehandelt, so sein Kommentar. Und ja, er stelle sich in der Tat die Frage, was gewesen wäre, wenn er ernsthaft erkrankt wäre.
Zu unserem unguten Gefühl trägt der Umstand bei, dass die schwedische Regierung unklar kommuniziert und sich nicht mit Leadership an die Bevölkerung wendet. Vielmehr scheint sie gerne den schwedischen Staatsepidemiologen Anders Tegnell vorzuschieben.
Auch wird betont (19. März), man wolle die Primarschulen im Land offen halten. Die Begründungen: Man stelle sich auf eine lange Krise ein. Entsprechend gelte es, vor allem Mütter und Väter aus dem Gesundheitssektor nicht von der Arbeit abzuhalten.
Dies führt zu anspruchsvollen Situationen im Schulbereich. An unserer Schule jedenfalls unterrichten Lehrerinnen und Lehrer fortan im Schulzimmer (fast ausschliesslich schwedische Schüler) sowie im Fernunterricht.
Inzwischen kritisieren auch dänische oder norwegische Medienberichterstatter die – ihrer Ansicht nach – zu lasche Handhabung in Schweden. Man spricht von einer verpassten Chance, weil Schweden, das in Bezug auf die Epidemie der Schweiz rund zwei Wochen hinterherhinkt, wertvolle Zeit verstreichen lasse, zumal auch in Schweden die Zahl der Beatmungsgeräte, Plätze auf der Intensivstation inklusive geschultem Personal begrenzt sind.
In Schweden führt die etwas verwirrende Situation dazu, dass ein Teil der Läden und andere Dienstleister auch ohne Aufforderung des Staates bereits geschlossen haben, so auch eine grosse Fitness-Kette. Auf der anderen Seite kann man Familien inklusive Grosseltern im Freien beim Spaziergang beobachten. Menschenansammlungen über 500 Personen sind zwar verboten. Skigebiete hingegen haben nach wie vor offen.
Unbekümmertheit in den Skigebieten
Noch vergangene Woche tummelten sich viele Schwedinnen und Schweden in den Skigebieten nördlich von Stockholm. Es sind dieselben Schwedinnen und Schweden, dich nach dem Wochenende zurück in die 2-Millionen-Metropole kehren, in der aktuell etwas über 1400 Menschen mit Covid-19 registriert und rund ein Dutzend (Stand 20 März) Verstorbener zu verzeichnen sind.
So finden sich in den sozialen Medien viele Kommentare von aufgebrachten und verunsicherten Expats, die sich darum bemühen, die Vorgehensweise zu verstehen. Und die sich fragen: Wie sollen sie sich verhalten, nachdem die Grenzen in der Heimat geschlossen sind.
Meine Familie hat entschieden, in Stockholm zu bleiben. Weil wir – etwas ausserhalb Stockholms-City wohnhaft – soziale Distanz gut einhalten können. Weil unsere Kinder quasi bewilligt von der Schulleitung via Skype dem Unterricht folgen dürfen. Und weil es vermutlich nicht sinnvoll ist, unter diesen Umständen via eine der letzten Swiss-Maschinen in die Schweiz, einem der Hot-Spots des Virus, zu reisen, wo wir unsere Eltern ohnehin nicht sehen dürfen.
In der Krise noch fremder
Ob dies die richtige Entscheidung ist, wissen wir nicht. Wir sind jeden Tag dazu geneigt, unsere Meinung zu ändern. Weil einem die Heimat in der Krise am wichtigsten ist. Weil einem – selbst wenn man seine Lieben auch zu Hause nicht sehen kann – die Distanz am meisten zu schaffen macht. Und weil das Fremde in der Krise noch fremder wirkt.
Und so geht ein weiterer Tag vorüber, der geprägt ist vom Fernunterricht und dem Verfolgen der Medien in der Schweiz und in Schweden. Das schöne Wetter trägt zur positiven Grundstimmung bei. Hoffentlich bleibt wenigstens das Wetter beständig positiv. Das erleichtert vieles.