Es hat sich abgezeichnet: Erst hat das auswärtige Amt Deutschlands die Reisewarnung für Schweden aufgehoben; nun hat die Schweiz nachgezogen. Schweden ist nicht mehr auf der Liste der Risikoländer (mehr als 60 Neuinfektionen pro 100’000 Einwohner innerhalb von zwei Wochen).
Eine ungemütliche Situation
Diese Nachricht freut uns. Schliesslich ist es nicht erbauend, den Alltag in einem Land zu verbringen, das von der Heimat als Risikoland eingestuft wird. Und wo man bei der Rückkehr in die Heimat – ob für einen Familienbesuch oder für Ferien – in eine 10-tägige Quarantäne muss.
Nun also ist diese Quarantäne für Schweden-Rückkehrer aufgehoben worden. „Juhui“, sind wir versucht uns zu freuen – zumindest was unsere eigene Situation anbelangt.
Was uns freut, ärgert unsere Freunde, die sich vergangenes Jahr dazu entschlossen haben, uns diesen Sommer in Schweden einen Besuch abzustatten.
Gemeinsam haben wir im Vorfeld unsere Reiseziele festgelegt. Gross war unsere Vorfreude. Gebangt und gehofft hatten wir, dass uns unsere Freunde würden besuchen können. Und dann traf ein, was wir erwartet hatten: Schweden kam auf die Liste der Risikoländer. Zu hoch war die Zahl der Neu-Infizierten.
Nachvollziehbarer Entscheid
Na ja, wir alle konnten den Entscheid nachvollziehen. Schliesslich war uns klar: Wer in Corona-Zeiten reist, tut nichts Gescheites. Zumal einiges dafür sprach, die Reisetätigkeit zwischen Schweden und der Schweiz zu unterbinden. Doch war unsere Situation nicht eine andere?
Unsere Freunde haben mittlerweile eine andere Reisedestination in Erwägung gezogen und ihr neues Reiseziel in Angriff genommen. Und wir sind alleine durch Schweden gereist.
Entsprechend ärgerlich ist für uns alle der aktuelle Bundesbeschluss.
Bleibt zu hoffen, dass die neue Reisedestination unserer Freunde nicht plötzlich auf der Risiko-Liste aufscheint. Aber wie sagen die Bundesbehörden richtig: Wer auf seine Reise nicht verzichten mag, der geht ein Risiko ein und gefährdet möglicherweise andere.
Wir wiederum befassen uns damit, wie wir den aktuellen Entscheid des Bundes bewerten sollen. Denn weder glauben wir, dass Schweden innert so kurzer Zeit die Zahl der Neu-Infizierungen so stark senken konnte, noch war für uns Anfang Juli nachvollziehbar, weshalb Schweden auf der Liste gelandet war.
Die stark sinkende Zahl an Neuinfektionen erklärt der schwedische Staat
- erstens mit den wärmeren Temperaturen,
- zweitens mit den weiterhin aufrecht erhaltenen Verhaltensmassnahmen (Hygiene, Distanz halten)
- und drittens mit einer inzwischen hohen Durchseuchungsrate insbesondere in der Hauptstadt Stockholm. Letzteres wagen wir zu bezweifeln: Studien zur Zahl jener, die die Krankheit durch gemacht haben, variieren erheblich; einmal ist von 14 Prozent die Rede, ein anderes Mal von 40. Gut möglich, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegt, was für einen positiven Effekt nicht ausreichend ist. Zumal nicht restlos geklärt ist, wie regelhaft, robust und dauerhaft eine Immunität nach erfolgter Krankheit gegeben ist.
Naheliegender ist für uns, dass die sinkenden Zahlen primär mit dem reduzierten Testvolumen während der Sommerferien zu tun hat.
Was die Einstufung Schwedens als Risikoland betrifft, so sind die Fallzahlen Mitte Juni in der Tat in die Höhe geschnellt.
Allerdings wurde damals auch das Testregime geändert. Fortan konnte sich jeder zum Test anmelden. Ich weiss von Freunden, die diesem Aufruf gefolgt sind – und mit einem positiven Testergebnis (Anti-Körper) nach Hause zurückgekehrt sind.
Gleichzeitig war die Mortalitätsrate damals bereits rückläufig und hatten die Spitäler erstmals deutlich weniger Corona-Hospitationen zu verzeichnen.
Kurz: Eigentlich hatte sich bereits abgezeichnet, dass sich die Situation entspannen würde. Und dies tat sie ja dann auch.
Das Beispiel zeigt die Schwierigkeit, in der wir uns befinden: Eine Liste mit Risikoländern zu führen, ist ein gutes Hilfsmittel im Kampf, eine zweite Welle zu verhindern.
Doch ist das gewählte Werkzeug nicht viel mehr als Mittel zum Zweck, Menschen generell von Reisetätigkeit abzuhalten. Die Realität abzubilden, vermag dieses Hilfsmittel nicht.
Oder anders gesagt: Wer Schwedens Weg in der Pandemie verstehen will, der muss nach Schweden reisen und sich selber ein Bild machen.
Im Augenblick bin ich überrascht von der Beharrlichkeit, mit welcher selbst im hohen Norden Menschen dazu bewogen (oder erzogen) werden, Abstand zu halten, Hände zu waschen, nur wenige Menschen in geschlossene Räume zu lassen.
Selbst in Nationalparks und in dünn besiedelten Gebieten wird man ständig mittels Plakaten und entsprechender Platzierung von Desinfektionsmitteln dazu ermahnt, das Virus ernst zu nehmen. Und dies trotz natürlicher sozialer Distanz.
Was, nur zwei Meter Abstand?
Kurz: In Schweden kommt es vermutlich einer Minderheit in den Sinn, zu meinen, die Pandemie sei nun ausgestanden. Allgemein glaubt man eher den Worten des Staatsepidemiologen, wonach es noch ein langer Weg werden könnte.
Darum versucht jeder, mit dem Virus im Alltag irgendwie klar zu kommen. Dazu gehört, dass man tendenziell Abstand nimmt – in grösseren Städten genauso wie in weiter abgelegenen Ortschaften.
Oder wie ein Kollege augenzwinkernd sagt: „Ehrlich gesagt verstehen wir gar nicht, warum wir nun unseren natürlichen Abstand zu einander auf zwei Meter Distanz reduzieren sollen.“
Typisch skandinavisch.
Herzlichst,
Simone Hinnen