Die Wienerin
Es ist ihre mächtige Stimme, die mir zuerst auffällt. Dann bemerke ich, wie schnell sie redet und den singenden Unterton, der mir ihre Wiener Herkunft verrät. Wir haben November 2019. Es ist kalt draussen in Stockholms Strassen. Und Eva Maria Riedl und ich sitzen drinnen in einem Café an der Wärme. Wir sind uns eben in einem Sport-Kurs zum ersten Mal begegnet. Nun erzählt sie mir von ihrem Leben und den Herausforderungen als Expat hier in Stockholm.
Kein zweites Schweden
Sie sagt: «Wenn mich mein Mann nochmals fragen würde, ob ich mit ihm nach Schweden komme, würde ich mit meiner Erfahrung von heute vermutlich nein sagen.»
Rückblende. Es ist das Jahr 2016. Eva Maria Riedl arbeitet an der Wiener Volksoper als Mezzo-Sopran. Schwarzes, wallendes Haar, grosse dunkle Augen, viel Temperament. Diversen Solisten-Rollen hat sie dank der starken Bühnenpräsenz und ihrer mächtigen Stimme neues Leben eingehaucht. «Der Star des Abends» oder «atemlos» titelten die Kritiker. Eva Maria Riedl war weit oben in Österreichs Opern-Szene angelangt. Sie war Erfolg gewohnt. Hatte auf Bühnen in Italien, Spanien, der Schweiz, in England, Deutschland, Polen, der Türkei oder in Israel gesungen.
Und dennoch hatte sie eine Schaffenskrise. Vieles war erreicht. Vieles noch nicht. Sie wollte höher hinaus, noch erfolgreicher werden. Und war sich gleichzeitig bewusst, dass sie mit der Geburt ihres ersten Kindes ihrer Karriere keinen Gefallen gemacht hatte. Dass es nicht mehr ganz so einfach war, alle von ihrem Können zu überzeugen – der Bonus ihrer Jugendlichkeit war weg.
Etwas von der Unbekümmertheit war weg
Sich voll dem Leben als Sängerin verpflichten und gleichzeitig mit der ihr eigenen Unbekümmertheit das Publikum für sich zu vereinnahmen, im Bewusstsein um eine zauberhafte Stimme und ein Talent auf der Bühne: Diese positiven Charaktereigenschaften waren ihr zwar nicht abhandengekommen. Aber die Lebenserfahrung, andere Lebensumstände, eine andere Figur und auch eine „grösser gewordene Stimme“, dies alles waren nicht nur für sie feststellbare Veränderungen, sondern auch für ihre Kritiker und Kollegen.
Und so gab es auch Selbstzweifel. Sie war zu jung, um alles an den Nagel zu hängen. Nach der Geburt ihres ersten Kindes war sie etwas über 30. Das war kein Alter, um sich um die Karriere zu sorgen. Es war aber auch kein jugendliches Alter mehr, indem man sich jede Kritik von einem Regisseur gefallen liess.
Kam dazu: Sie war neugierig. Wollte die Welt auskundschaften, neues Terrain betreten. Mit Auftritten in Stockholm könnte sie ihr Palmares weiter ausbauen und mit Gesangs-Coaching ein zweites Standbein aufbauen: Das war ihr Plan.
Und so sagte sie zu, mit Mann und den zwei Kindern das Abenteuer Stockholm in Angriff zu nehmen.
Eva Maria Riedl erzählt mir von den anfänglichen Schwierigkeiten, in Stockholm Fuss zu fassen. Zweieinhalb Jahre ist dies nun her.
Dunkle Tage und für die Psyche ein Schock
Schon bald nach ihrer Ankunft im Sommer wurden die Tage dunkler, verfärbte sich das Laub. Es wurde kalt. «Die Kinder mussten ins Schulsystem eingewöhnt werden. Ich war zu Hause, mein Mann bei der Arbeit. Ich verlor viel Energie.»
Sie sei lange Zeit damit beschäftigt gewesen, alles zum Funktionieren zu bringen.
«Kam erschwerend hinzu, dass es unfassbar schwierig war, Anschluss in der Kulturszene zu finden. Und dies, obschon sie viele Freunde in der Musikszene hatte, die ihr behilflich waren, sich für sie in Stockholm bei den richtigen Leuten einzusetzen. «Aber spätestens nach dem dritten Kontakt war Schluss. Es rief mich niemand mehr zurück.» In Schweden sei sie eben nur eine Nummer unter vielen gewesen. Und es sei äusserst schwierig, Zugang zu den richtigen Gesellschaftskreisen zu finden.
Es war ein Kulturschock. Schliesslich war sie davor ein gefragter Star. Und dann dies.
Kinder seien immer ein Bremsklotz in dieser Szene, sagt sie. Dies habe sie mit den Geburten in Kauf genommen. Und ihre Figur mit viel Training schnell wieder dort gehabt, wo sie sie haben wollte. Zudem habe sie ja berufliche Engagements gehabt, als sie sich entschied, ihrem Mann nach Stockholm zu folgen.
Aber dann kam dieser Herbst 2016 in Stockholm. Und dann folgte gleich darauf ein strenger Winter. «Es war finster und kalt. Und ich war am Anfang komplett auf mich alleine und die Kinder fokussiert.»
Zur Halbzeit des zweiten Jahres lief es etwas besser. Eva Maria Riedl war besser vernetzt.
Sie konnte kleine Projektaufträge gemeinsam mit einem Pianisten anpacken. Aber die grösseren Aufträge – die blieben aus. Sie versuchte es mit Gesangsunterricht. Doch die Kundschaft wollte nicht kommen. Und vielleicht fehlte ihr auch einfach die Energie. Es war die Psyche, die sie daran hinderte. Sie wurde krank. Nicht lebensbedrohlich, aber doch so, dass sie wusste: Sie musste handeln.
Expats mit ähnlichem Schicksal
So wie ihr gehe es vielen Expat-Frauen, sagt sie heute.
Eva Maria und ich telefonieren via Zoom. Mittlerweilen ist Mai 2020 und in der Welt von heute bleibt kein Stein auf dem anderen. Wir stecken mitten in der Pandemie. Das Corona-Virus hat uns alle im Griff.
Ich bin zurzeit mit meiner Familie in der Schweiz. Von Eva Maria erfahre ich via Zoom, dass sie denselben Schritt quasi zum selben Zeitpunkt mit ihrer Familie unternommen hat – der Sicherheit wegen. Im Gegensatz zu uns, werden sie und ihr Mann nur noch für den Rücktransport ihres in der Eile zurück gelassenen Haushaltes nach Stockholm zurückkehren. Denn für ihre Familie steht fest: Schweden ist abgehakt.
Eva Maria ist aufgestellt am Telefon. Sehr sogar – und dies trotz Corona.
Sie sitzt im Garten vor ihrem Haus, das sie während ihrer Abwesenheit nie untervermietet hatte. Die Wiese ist saftig grün, wie ich via Videotelefonie sehe. Es spriessen die ersten Blumen. Ihre Tochter spielt mit einer Puppe, und Eva Maria’s Gesichtsausdruck verrät, wie wohl sie sich in ihrer Heimatstadt fühlt.
In der Heimat ist alles einfacher
Sie sagt: «Es ist anstrengend mit den beiden Kindern. Aber ich bin trotzdem sehr gut drauf.» Denn sie sei zuhause, in ihrer Homebase und wo ihr Freundeskreis und ihre Familie seien. Notfalls genüge ein Anruf und «mir wird geholfen». Das Kontaktnetz von früher funktioniere immer noch. Dann wechselt sie das Thema.
Expat-Frauen mit guten Ausbildungen aber eingeschränkter Zukunftsperspektive
Viele dieser Expat-Frauen in Stockholm hätten eine tolle Ausbildung, sagt sie. Und erwähnt eine ihrer Freundinnen, die für den Job ihres Mannes hier in Schweden ihre tolle Anstellung beim Magazin Vogue an den Nagel gehängt habe. Aber da seien auch Ingenieurinnen, Lehrerinnen, HR-Managerinnen – «das ganze Spektrum halt».
In den Monaten vor der übereilten Abreise sei es ihr schon viel besser gegangen, erzählt sie. Schliesslich sei es beschlossene Sache gewesen, zurück nach Österreich zu kehren. Und nun mit Corona sei man halt noch etwas früher in die Heimat aufgebrochen.
Sie habe in den letzten Monaten vor der geplanten Abreise stark an sich gearbeitet, sagt sie. Habe Mentaltraining gemacht. Jeden Tag an ihrer Stimme gearbeitet. Habe viel Sport getrieben.
Und der Umzug nach Wien sei für sie wie ein Befreiungsschlag gewesen. «Meine Energie kam zurück.»
Sie weiss: Sie will noch einmal voll durchstarten. In ihrem Alter machen viele ihres Genres noch Karriere. Insbesondere, da sie eine Mezzo-Sopran-Stimme habe. «Ich habe jedenfalls den Gedanken noch nicht aufgegeben, auf der Bühne zu stehen.»
Den Willen hat sie von der Mutter geerbt, vom Vater das Talent fürs Singen und die Musik ganz generell. Der Vater hatte früher in diversen Blasmusik-Kapellen Posaune gespielt. Hatte ein tolles Musikgehör und viel Talent, war aber im Krieg geboren und in den Nachkriegsjahren nicht in der Lage, eine entsprechende Ausbildung wie sie zu geniessen.
Sie selbst ist in der Steiermark im südlichen Österreich geboren und gross geworden. Früh besuchte sie die ortsansässige Musikschule. Hat erst Blockflöte gespielt, dann Gitarre und später dann Gesangunterricht genommen.
Schülerprojekt als Startschuss
Ausschlaggebend für ihren späteren Weg war aber vermutlich ein Schülerprojekt, das in Kooperation mit der Fernsehanstalt ORF auf die Beine gestellt wurde und das rund 10 000 Besucher anlockte.
Ermuntert vom Lob vieler, weiterzumachen, nahm sie mit 18 Jahren an einem Gesangswettbewerb teil, an welchem sie erfolgreich brillierte, schloss kurz darauf ihr Abitur ab. Und ging dann nach Wien zur renommierten Professorin Helena Lazarska, wo sie Sologesang studierte, um ihrer schon früh begonnenen steilen Karriere weiteren Auftrieb zu verleihen. Sie kam auch dort schnell voran und so ging es weiter an das Tiroler Landestheater in Innsbruck.
Der Ruf an die Bundestheater, an die Wiener Staatsoper, wäre schon früh erfolgt- wahrscheinlich zu früh- und ihre Mentoren rieten ihr zum Engagement in der Provinz, um sich nicht zu verheizen. Brigitte Fassbaender, die bekannte deutsche Opernsängerin und große Künstlerin, wurde ihre Mentorin und man merkt, wie dankbar Eva Maria ihr noch immer ist.
„Erst nach Jahren im Beruf weiß man zu schätzen, wie großartig und unfaßbar wertvoll ein Mentor ist, der mit Demut, Kompetenz und Hingabe junge Kollegen begleiten will.“
Durch ihre Erfolge in Innsbruck meldeten sich wieder die Bundestheater. Jetzt nahm sie die Herausforderung an. So wurde das kleinere der Bundestheater, die Wiener Volksoper, ihr Stammhaus, wo sie von Mozart bis Strauss und Verdi alles sang. Und Ioan Holender, der legendäre Direktor der Wiener Staatsoper, sie regelmäßig für diverse Covers verpflichtete. Hier konnte sie mit den ganz Großen Auftritte einstudieren. „Das sind Erfahrungen, die für eine junge Künstlerin von unschätzbarem Wert sind.“
Und nun ist sie wieder zu Hause, in der Kulturhauptstadt Österreichs. Dort, wo die Reichen und Schönen gerne ihre Freizeit der Kultur widmen – zumindest in guten Zeiten. Bereits in ihrer letzten Phase in Stockholm und vor allem jetzt in Wien hat ihr Coaching-Unternehmen stark an Fahrt aufgenommen. Plötzlich hatte sie Anfragen. Und trotz Corona-Krise sind ihr jetzt in Wien die Kunden nicht weggebrochen. Im Gegenteil.
«Jetzt ziehe ich durch, was ich eigentlich schon 2016 durchziehen wollte», ist sie sich sicher.
Damals, 2016, ist dieses Projekt am Tod ihrer Freundin gescheitert, die an Krebs gestorben ist und mit der sie dieses Coaching aufbauen wollte. Jetzt ist sie top-motiviert.
Auch etwas für Geschäftsleute
Ihr Unterricht ist für künftige Profi-Sänger wie ebenso für alle anderen. «Beim Singen lernt man, seine Muskelgruppen richtig einzusetzen», sagt sie. Davon profitiere der Profi genauso wie der Laie. Oder jemand, der oft vor Publikum reden müsse. Dabei ist sie überzeugt: «Jeder kann singen.» Ein professioneller Sänger habe einfach ein besseres Musikgehör, was den Unterschied ausmache. Ihre Schüler seien mit ihr zufrieden, und sie mit ihren Schülern, sagt sie. «Es konnte noch jeder in seinem Genre Erfolge verbuchen.»
Die Corona-Krise hat in der Kulturszene viel Raubbau betrieben. Viele seien ohne Einkommen und Job. Da könne sie sich glücklich schätzen, dass es ihr momentan gut läuft. Komme dazu, dass sie dank Video-Unterricht nur wenig Inventar benötige. Das einzige, was sie brauche, sei ein gutes Mikrophon.
Insbesondere jetzt in der Krise könne Singen Wunder vollbringen, meint sie. Es gelte, Emotionen los werden. Und hierfür sei Singen ein gutes Ventil. Überhaupt: Wie man singe und was man singe sei im Grundsatz der Spiegel der Seele. Man könne sich damit wie mit kaum einem anderen Instrument ausdrücken. «Ich habe schon Schüler gehabt, die zu weinen begonnen haben, weil weniger Druck auf ihren Schultern lastete.»
Österreich hats gut gemacht
Die Situation in Österreich in der Krise bezeichnet sie als beruhigend. Der Kanzler mache einen guten Job. Mit den Bildern, die die Welt aus Italien erreicht hätten, sei es nötige gewesen so zu handeln wie Österreich gehandelt habe, ist sie sich sicher.
Schweden mache dies anders, sagt sie. Und man spürt, dass sie nicht gerne darüber spricht. Mischen sich all ihre negativen Erfahrungen ihres Aufenthaltes mit den kulturellen und jenen in der Krise zusammen? Eva Maria bleibt diplomatisch. Man könne die Situationen der beiden Länder nicht vergleichen, alleine schon die Besiedlungsdichte sei eine andere.
Was die Zukunft anbelangt, ist sie optimistisch. Auch, was die Kulturszene anbelangt. «Ich hoffe sehr, dass die Stimmen jener gehört werden, die sich jetzt endlich getrauen, laut ihre Meinung bezüglich schlechter Honorare etc. öffentlich zu äussern.» Positiv ist sie auch, was ihre Karriere anbelangt. Sie arbeite unentwegt daran, wieder ein mit früher vergleichbares Engagement zu erhalten und auf der Bühne zu stehen, sagt sie.
Mit dem Coaching-Job habe sie überdies ein gutes Instrumentarium zur Hand, welche sie stets antreibe, neue Projekte auszuloten. Dabei wird ihr ihr Naturell Hilfe und Hindernis zu gleich sein. «Mir geht vieles immer zu langsam. Doch mit dem Alter wird man automatisch ruhiger.» Und wer weiss, vielleicht hilft ihr ihre Erfahrung aus Stockholm.
«Zu wissen, dass es immer irgendwie weiter geht, ist eine Erfahrung die mir niemand nehmen kann.»
Sagts und wir verabschieden uns – ob wir uns je wiedersehen werden – es bleibt zu hoffen.
Hinweis: Informationen zum Coaching von Eva Maria Riedl finden Sie unter https://de.artmeupcoach.com