Stehen Masken in ein paar Jahren sinnbildlich für die Pandemie?
Möglich ist es. Doch was für die Welt gilt, muss nicht zwangsläufig für Schweden gelten. So ist es im Land der Wikinger Ende November nach wie vor unüblich, eine Maske zu tragen. Ja, wer eine trägt, schwimmt gegen den Strom – das gilt anscheinend selbst für Spitäler.
Dabei ist sich die Welt inzwischen einig: Masken machen in gewissen Situationen Sinn. Nur mit Mundschutz kann verhindert werden, dass Virusträger ohne Symptome unwissentlich andere anstecken. Entsprechend schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO auf ihrer Webseite: «Das Tragen von Masken sollte normaler Teil der Sicherheitsvorkehrungen sein, sobald man von anderen Menschen umgeben ist.» Nicht so in Schweden.
Masken: Zu simple für ein komplexes Problem
Kopf hinter der schwedischen Strategie ist Staatsepidemiologe Anders Tegnell. Seiner Ansicht nach ist das Tragen von Masken kontraproduktiv. Seine Lieblingsaussage dazu: Mittels Griff zur Maske versuche man, ein komplexes Problem auf einfache Weise zu lösen. Entsprechend sei er skeptisch. Die Menschen wiegten sich dadurch in falscher Sicherheit. Zumal falsches Tragen obendrein das Gegenteil von dem bewirke, was man eigentlich bezwecke: Sich und sein Gegenüber zu schützen.
Was Tegnell sagt, hat in Schweden Gültigkeit. Doch der Widerstand wächst. Letzteres ist alles andere als üblich. Für gewöhnlich hält man zum Staat, der einem in guten wie in schlechten Zeiten unterstützt. Entsprechend selten kommt es zur öffentlichen Kritik.
Eine von fünfzig Personen mit Maske
So ist es weiterhin nur eine von rund fünfzig Personen, die im Einkaufsladen oder im öffentlichen Verkehr einen Mundschutz trägt. Nun kann man dieses Verhalten gut finden oder nicht. Ich meinerseits versuche einen Mittelweg zu gehen. Dies, indem ich den Empfehlungen des Staates folge. Mich jedoch im dichten Gedränge darüber hinwegsetze und somit meiner sowie der Gesundheit anderer noch mehr Priorität einräume und eine Maske anziehe.
Im Spital ohne Maske?
Schluss mit meinem guten Willen ist spätestens dann, wenn mich die Situation überfordert.
So geschehen unlängst im Regionalspital in meinem Wohnort 20 Minuten ausserhalb Stockholms. Es war Anfang Oktober, als ich mit ziemlich grossem Befremden feststellen musste, dass die „Nicht-Empfehlung“ zum Maskentragen auch Auswirkungen auf das Spitalpersonal hat. Dies, sofern es sich nicht um eine Covid-19-Station oder eine Erst-Anlaufstelle handelt.
Wie, Sie glauben mir nicht? Anfang Herbst litt ich wiederholt unter einem hartnäckigen Infekt (nicht Corona) und die Packung Antibiotika wollte einfach nicht helfen. Weil die telefonische, respektive digitale Anmeldung beim Gesundheitszentrum meines Wohnortes mehrere Tage in Folge überlastet war, entschloss ich mich, in den Notfall des nächstgelegenen Spitals zu gehen. Dieses ist von der Grösse her durchaus mit einem mittelgrossen Spital in der Schweiz vergleichbar.
Erwartungsgemäss war der Erstkontakt mit Patienten ins Freie verlegt worden. Und so beantwortete ich dem Personal in Schutzausrüstung meine Fragen. Wenige Minuten später war ich drinnen im Spital, nachdem ich meine Gesundheitskarte vorgewiesen hatte und das Thermometer anzeigte, dass ich kein Fieber hatte.
Verkehrte Welt: Ich mit Maske, Spitalpersonal ohne eine solche
Ja, und dann – war ich erst einmal verblüfft. Wo ich Menschen mit Mundschutz erwartet hatte, fand ich nur solche ohne einen solchen. Das gilt auch für Ärzte und Pflegepersonal. Wie meine blaue Maske ankam, weiss ich nicht, weil ich mit niemandem darüber sprach.
Mit Sicherheit hatte das Spitalpersonal keine Freude an mir. Jedenfalls nahm ich die etwas zu intensiven Blicke in meine Richtung zur Kenntnis. Mein Gemütszustand würde ich als etwas zwischen erbost, belustigt und irritiert bezeichnen.
Definitiv nicht mehr lustig fand ich es, als ich zur Aufnahme der Krankengeschichte in ein kleines Zimmer von höchstens vier Quadratmetern gebeten wurde. Denn ja, wie könnte es anders sein: Auch da sass mir eine Fachfrau ohne Maske gegenüber. Einen Moment lang überlegte ich mir, ob ich meine Maske nun ablegen sollte – ärgerte mich dann aber über meine Gedanken.
Und so nahm ich beinahe etwas mitleidig zur Kenntnis, dass die Pflegefachfrau mir gegenüber ebenfalls etwas Mühe mit der Situation hatte. Ihre Haltung änderte sich glücklicherweise relativ schnell, nachdem ich ihr von meinen Beschwerden erzählt hatte. Dieselbe Szene wiederholte sich nur wenige Minuten später beim Patientengespräch mit dem Arzt, wobei dieser sichtlich besser mit der Situation zurecht kam.
Wenige Tage später stiess ich im Magazin «Science» auf einen Artikel von Mitte Oktober, der sich genau um dieselbe Thematik drehte. Im Artikel wurde mir bestätigt, wovon ich ausging: Es gehört nicht zum guten Ton, im Spital eine Maske zu tragen. Es sei denn, man arbeitet in einer Covid-Abteilung. Jedenfalls erzählten verschiedene Personen aus der Pflege und der Ärzteschaft von ihren Schwierigkeiten in dieser Beziehung. Letzteres ist den Betroffenen insofern hoch anzurechnen, weil sie damit ein Risiko eingingen. Denn Kritik in solcherlei Fragen ist nicht wirklich erwünscht.
Im Artikel kommt unter anderem eine Augenärztin eines Regionalspitals zu Wort. Sie erzählt, wie sie von der Spitalleitung bereits im März zweimal verwarnt wurde, weil sie eine Maske trug. Ihre Geschichte nahm ein gutes Ende. Trotz Verwarnungen durfte sie weiterhin mit Maske arbeiten, weil sie argumentiert hatte, aufgrund der vielen Risikopatienten ihre Arbeit niederlegen zu müssen, sollte ihr das Maskentragen verweigert werden. Ihrem Mut war es zu verdanken, dass fortan alle Ärzte des Spital ihrem Beispiel folgen durften, nicht aber das Pflegepersonal.
Spitalleitung: Mundschutz wirkt unfreundlich auf die Patienten
Eine weitere Ärztin hatte weniger Glück. Sie musste ihr Regionalspital verlassen. Die Leitung wollte ihren Arbeitsvertrag nicht mehr verlängern, weil sie, so ihre Vermutung, mit einem Mundschutz gearbeitet hatte, was ihr die Kritik einbrachte, es wirke unfreundlich auf Patienten und führe zu Verständigungsschwierigkeiten.
Ein dritter Arzt aus Zentralschweden berichtete ähnliches und meinte abschiessend, dass er in seinem Spital der einzige mit Mundschutz sei. Inwiefern Schweden an dieser Handhabung noch etwas ändern wird, ist schwer zu beurteilen. Augenblicklich ist die Stimmung ziemlich getrübt, wie ich bei einem Spaziergang durch Stockholms Innenstadt am Wochenende feststellen musste.
Anders als noch vor drei Wochen war wenig vom dichten Gedränge in den Läden und Gassen zu sehen. Stockholm schien mir wie tot, was mir der Inhaber eines Restaurants auf einem der Hauptplätze wenig später bestätigte. Kein Wunder: Der Graph mit den Fallzahlen schiesst derzeit quasi senkrecht in den Himmel. Und in den Spitälern mehren sich erneut die Stimmen, die vor einem Kollaps des Systems warnen – respektive einer Übermüdung des Personals.
Zu stolz für eine Kurskorrektur?
Dennoch: In unserem Freundeskreis gehen wenige davon aus, dass sich die Schweden in der Maskenfrage bewegen werden. Zu vehement habe sich Staatsepidemiologe Tegnell stets gegen das Tragen von Masken ausgesprochen. Und ein Richtungswechsel käme, so sagen die meisten, vermutlich einem Gesichtsverlust Tegnells gleich.
Am 16. November an der Medienkonferenz meinte Ministerpräsident Stefan Löfven auf eine Journalistenfrage zu den Masken: Es gebe kein Verbot. Worauf der Direktor des schwedischen Gesundheitsamtes nachschob: In erster Linie wolle man Menschenansammlungen an zentralen Orten vermeiden.
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Update vom 17. November 2020: Noch an demselben Tag vermeldete SVT Nyheter, dass in besagtem Regionalspital in der geriatrischen Abteilung 12 von 70 Fachpersonen an Covid-19 erkrankt seien – nicht auf der Covid-Station. Man vermute, dass das Virus von Aussen herein getragen worden sei oder es das Personal im privaten Umfeld aufgelesen habe. Auch der Gesundheitsverband erhalte unter seinen Mitgliedern immer mehr Informationen, wonach Personen erkrankten. Somit steige der Druck auf das Gesundheitswesen weiter.
Die Vizepräsidentin der Healthcare Association meint im Artikel, sie sei sehr besorgt. Die Situation sei ohnehin schon angespannt und man rechne mit einer sich weiter verschärfenden Situation hinsichtlich der Ausbreitung des Infektionsgeschehens. Womit weiteres Pflegepersonal ausfallen werde.
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Anderntags plädierte die „Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften“ für das Tragen eines Mundschutzes, um das Infektionsgeschehen zu reduzieren. Anfang Dezember sieht man zwar mehr Menschen mit Masken auf den Strassen. Jedoch nicht genug, damit ein Tourist in Stockholm erkennen könnte, dass ein Sars-Virus in Schweden wie überall auf der Welt sein Unwesen treibt.
Quellen: Financial Times (September), Magazin Science (Oktober), Johns Hopkins University, The Local Sweden